Sich der Wahrheit, oder besser: den Wahrheiten, in einem Krieg anzunähern, ist ein schwieriges, gefährliches Geschäft. Journalistinnen und Reporter bemühen sich darum. Die einen, eher wenigen, tun es, oft unter Lebensgefahr, im Kriegsgebiet; die anderen, eher vielen, tragen am ungefährlichen Schreibtisch Nachrichten und Bilder zusammen, kommentieren und analysieren. … Eine noch so kenntnisreiche, verständige und verständliche sowie einfühlsame Betrachtung aus der relativen Ferne kann die Eindrücke aus der Nähe zwar ergänzen, aber keinesfalls ersetzen. Nicht jede Augenzeugenschaft vermittelt Wahrheit. … Die Vorstellung, dass heute eigentlich jede Frau und jeder Mann „Journalist“ sei, weil alle alles aufzeichnen und verbreiten können, ist beliebt, aber falsch. Wer behauptet, in der digitalisierten Welt würden Auslandskorrespondentinnen und reisende Reporter überflüssig, versteht entweder die handwerklichen und die ethischen Hintergründe von Journalismus nicht oder ist ein kostendrückender Verlagsmanager. Manchmal kommt beides zusammen.
Kurt Kister, sueddeutsche.de, 16.3.2022 (online)