Aktuell wird über die militärischen Auseinandersetzungen mit den Huthi-Rebellen im Jemen berichtet. In den Nachrichten spielte das Land vor den Angriffen auf Handelsschiffe, die das Rote Meer durchquerten, kaum eine Rolle und das obwohl die Vereinten Nationen die Lage im Jemen seit Jahren als „schlimmste humanitäre Krise weltweit“ bezeichnet haben. Zahlreiche Kriege und Katastrophen, die sich im Globalen Süden ereignen, finden abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit statt. Woran liegt das? […]
Erschreckend ist dass der Jemen erst jetzt nach der Gefährdung von politischen und ökonomischen Interessen des sog. Westens in den Nachrichten auftaucht. Fast könnte man meinen, dass vorher im Land an der Südspitze der arabischen Halbinsel nichts Berichtenswertes geschehen wäre. Vergeblich durchsucht man die Nachrichtendatenbanken vor 2024 nach dem Jemen. Außer einzelnen verstreuten Berichten wird man kaum fündig.
Dabei herrscht im Jemen seit 2015, also seit mittlerweile neun Jahren, ein Bürgerkrieg zwischen der von Saudi-Arabien unterstützten jemenitischen Regierung und den Iran nahestehenden Huthi-Rebellen. Die Ursprünge der militärischen Auseinandersetzungen im Jemen reichen aber weiter zurück. Zwei Jahrzehnte Krieg seit dem Aufstand der Huthi gegen die Regierung im Jahr 2004 haben das Land in Trümmer gelegt. 2017 wurde der Jemen von der größten jemals gemessenen Choleraepidemie heimgesucht, Schätzungen zufolge starben in Folge des Bürgerkriegs alleine bis Ende 2021 ca. 377.000 Menschen. Bis heute sind laut UNICEF drei Viertel der Bevölkerung auf humanitäre Unterstützung angewiesen. Über eine halbe Million Kinder unter fünf Jahren sind lebensbedrohlich mangelernährt. Die Vereinten Nationen stuften die Lage im Jemen seit Jahren als „schlimmste humanitäre Krise weltweit“ ein.
Offensichtlich haben das Leid und die humanitäre Katastrophe im Land aber nicht ausgereicht, um medial ernsthaft thematisiert zu werden. Der Jemen kam, das zeigt eine vor der Veröffentlichung stehende Untersuchung des Autors dieses Beitrags, in den Nachrichten praktisch nicht vor. […]
Leider stellt der Jemen keine Ausnahme dar. Als „tödlichster Krieg des 21. Jahrhunderts“ gilt der Bürgerkrieg in der nordäthiopischen Region Tigray, in den auch Eritrea verwickelt war und der zwischen 2020 und 2022 schätzungsweise bis zu 600.000 Menschenleben forderte. In den Nachrichten wurde hierüber aber wie über die dokumentierten Kriegsverbrechen kaum berichtet. […]
Die Liste der medial vernachlässigten Krisen, Kriege und Katastrophen ließe sich leicht verlängern. Die Hilfsorganisation CARE hat im Januar 2024 einen Bericht mit den zehn am stärksten vernachlässigten Krisengebieten veröffentlicht, die alle in Afrika liegen. […]
Im Durchschnitt beschäftigen sich Nachrichtenmedien in lediglich etwa zehn Prozent ihrer Sendezeit oder Beitragsseiten mit den Ländern des Globalen Südens, obwohl dort etwa 85 Prozent der Weltbevölkerung lebt. Im vergangenen Jahr 2023 waren es in der Tagesschau insgesamt 15 Prozent, was, wie eine genauere geografische Aufschlüsselung zeigt, auf den Krieg in Israel und Gaza in der MENA (Middle East North Africa)-Region zurückzuführen ist. […]
Kriege ohne unmittelbare Auswirkungen auf den Globalen Norden, seien sie aus humanitären Gesichtspunkten auch noch so tragisch, werden in der Regel in den Nachrichten nur äußerst peripher registriert. […]
Berichtet wird anscheinend erst, wenn Menschen oder Interessen des Globalen Nordens in irgendeiner Form betroffen sind. Es ist erschreckend, an einem konkreten und ganz realen Beispiel festzustellen, dass humanitäre Katastrophen und menschliches Leid ganz offensichtlich alleine nicht ausreichen, um in den Nachrichten wahrgenommen zu werden, wenn die betroffenen Gebiete im Globalen Süden liegen.
Ladislaus Ludescher, ejo-online.eu, 15.02.2024 (online)