Wer pazifistisch ist, muss anders in die Zukunft blicken. Er muss alles tun, um einen Angriff zu verhindern, auch wenn das aus wirtschaftlichen Gründen gerade nicht opportun ist.
Staatlich-verankerter Pazifismus hätte erkannt, dass es nach der Annexion der Krim keine gute Idee war, dass aus Deutschland Waffen im Wert von 122 Millionen Euro an Russland verkauft wurden. Berufspazifisten hätten die Fortsetzung der Minsker Verhandlungen mit anderer Dringlichkeit bedacht. Sie hätten die Abhängigkeit von russischem Gas hinterfragt, so wie sie jetzt fragen würden, ob man sich wirklich Katar und einem womöglich bald wieder von Trump regierten Amerika verpflichten sollte. Hätten angemerkt, dass es falsch ist, eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine weder durchzusetzen noch auszuschließen – die Ukraine also gleichzeitig provokant und ungeschützt erscheinen zu lassen.
Berufspazifisten würden vielleicht auch sehen, dass es in einem zunehmend faschistischen Europa absoluter Wahnsinn ist, dass Deutschland der viertgrößte Rüstungsexporteur der Welt ist. Sie würden hinterfragen, ob man Waffen nach Ungarn und Italien, Katar und Saudi-Arabien liefern muss. Pazifisten wüssten, dass sie auf einen Angriff mit diesen Waffen keine Antwort hätten, sie wären deshalb deutlich motivierter, diesen Handel zu unterbinden, als zum Beispiel Angela Merkel und ihre wirtschaftspragmatischen Minister es je waren.
Natürlich, vieles ist längst die Aufgabe von Diplomaten, nur dass diese eben die Möglichkeit des Kriegs immer mitdenken, als „Diplomatie mit anderen Mitteln“. Wer Probleme aber (natürlich immer nur im schlimmsten Fall und obwohl das keiner will) mit Waffen lösen kann, kommt zu anderen Lösungen.
Nele Pollatschek, sueddeutsche.de, 28.9.2022 (online)