Einst waren die Künste durch die Rücksichtnahme auf religiöse Glaubenslehren gebunden (mehr oder weniger), bis sie in die Autonomie entlassen wurden.
Nun soll es neue, moralisch-politische Bindungen geben, um vor dem Beifall von der falschen Seite zu warnen? Dieser Applaus darf unter keinen Umständen stattfinden. Doch wird das Richtige falsch, wenn die Falschen klatschen? Wenn ich als Kabarettist gegen Waffenlieferungen in die Ukraine bin, muss ich dann mit dem Beifall von der falschen Seite rechnen? Wer glaubt, vor dem Beifall der falschen Seite warnen zu müssen, begibt sich in eine Unmündigkeit, die er selbst verschuldet.
Es gibt diese – Kant möge die sprachliche Anleihe verzeihen − selbstverschuldete Unmündigkeit der Linken, in der sie sich gemütlich eingerichtet haben. Störungen müssen unter allen Umständen vermieden werden! Fraglich ist nur, ob wir das Publikum vor dem Richtigen schützen müssen. Wer aus Angst vor dem Beifall von der falschen Seite das als begründet, ja als wahr Erkannte eskamotiert, entmündigt das Publikum und schränkt das öffentliche Nachdenken ein.
Das Publikum ist intelligent, gebildet und hat Humor. Davon müssen wir unabhängigen Kabarettisten ausgehen. Wir vertrauen unserem Publikum. Wir dürfen erwarten, dass wir richtig verstanden werden. Und wenn ein paar darunter sind, die uns falsch verstehen, haben wir unseren Spaß! (Paid)
Bruno Jonas, Friedrich Vollhardt, sueddeutsche.de, 20.06.2023 (online)