Auf so eine Strategie muss man erst einmal verfallen: Die ARD-Sender riskieren, das Stammpublikum ihrer Kulturangebote zu verprellen, in der Hoffnung auf neue Hörer, die bitte hoffentlich jünger und unbedingt auch zahlreicher sind. Das wird schon aus demografischen Gründen schwierig. Es grassieren vor allem aber zwei schwerwiegende Missverständnisse.
Das eine ist die Fehlinterpretation des öffentlich-rechtlichen Auftrags, allen etwas bieten zu müssen. Damit ist nicht gemeint, alle Menschen mit Kulturberichterstattung erreichen zu müssen. Sportredaktionen konzipieren aus gutem Grund keine Sendungen für Hörer, denen Fußball ziemlich egal ist. Warum aber gibt es einen Literatur-Podcast für Nichtleser?
Gerade indem die Öffentlich-Rechtlichen ihre Kulturberichterstattung so umgestalten, dass sie damit vor allem die nur punktuell Interessierten erreichen wollen, missachten sie ihren Auftrag, allen etwas anzubieten: Dann fallen nämlich jene vier bis sechs Prozent des Publikums, die an einer nicht bloß affirmativen, sondern substanziellen Auseinandersetzung mit Kultur interessiert sind, künftig durchs Raster.
Die zweite falsche Annahme ist, dass man jüngere Hörer lediglich mit irgendwie zappeligeren, oberflächlicheren Angeboten gewinnt. Ziemlich sicher interessieren sich 30-jährige Kulturfans – und die gibt es – tendenziell für andere Romane, Theater-Ästhetiken, Popsongs, Ausstellungen und Filme als 60-Jährige. Aber ihre Ansprüche an das Diskursniveau sind deshalb keineswegs geringer.
Stephan Fischer, sueddeutsche.de, 18.10.2023 (online)