Es ist eine Frage, die in westlichen Ländern immer häufiger und hitziger diskutiert wird: Was dürfen sich Schauspieler aneignen, was nicht? Blickt man auf die vergangenen Jahrzehnte zurück, dann zeichnet sich hier ein klarer Trend ab: Aneignung wird kritischer gesehen. […]
Für die Tabuisierung des „Blackfacings“ werden mehrere Gründe angeführt: Erstens hat es fast immer etwas Karikierendes, wenn sich ein Weißer als Schwarzer verkleidet. Zweitens steht diese Maskerade in einer unguten Tradition: In den USA waren früher sogenannte „Minstrel Shows“ populär, in denen Weiße stereotyp und zur Belustigung eines weißen Publikums Schwarze imitierten.
Drittens sind Schwarze von Weißen jahrhundertelang unterdrückt und ausgebeutet worden und werden heute noch oft diskriminiert. Es besteht also ein Machtungleichgewicht, weshalb auf die Gefühle der benachteiligten Gruppe besondere Rücksicht genommen werden sollte. Viertens ist es so, dass es schwarze Schauspieler oft schwer haben, überhaupt Rollen zu ergattern.
Entlang ähnlicher Argumentationslinien verlaufen auch die Debatten darüber, ob Nichtbehinderte noch Menschen mit Behinderungen, Normalgewichtige noch dicke Menschen und Heterosexuelle noch Homosexuelle spielen dürfen. Oder normal große Menschen Kleinwüchsige. […]
Die Schauspielerei nimmt hier insofern eine Sonderstellung ein, als dass man kulturelle Aneignung als ihr eigentliches Wesen beschreiben könnte. Seit jeher geht es ja darum, auf der Bühne etwas völlig anderes als sich selbst zu verkörpern. […]
Was dürfen sich Schauspieler heute noch aneignen? Der Komiker Hape Kerkeling bringt seine Haltung in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur auf folgende Formel: „Die Schauspielerei sollte grundsätzlich alles in Freiheit ermöglichen – nur eben keine Diskriminierung. So einfach und so kompliziert ist das.“ Mit anderen Worten: Die Kunst muss grundsätzlich erst einmal frei sein. Aber gleichzeitig empfiehlt es sich, bei der Rollenbesetzung Fragen von Identität und Diskriminierung zu bedenken.
Christoph Driessen, digitalfernsehen.de, 3.12.2023 (online)