Kunst ist ein Medium. Soweit herrscht Einverständnis. Was „Medienkunst“ sein könnte, harrt noch scharfer Definition. Vorläufig begnügt man sich mit dem Umriss: irgendetwas aus oder mit oder durch die sogenannten neuen Medien, also motorgetrieben, elektronisch, digital, computerisiert, algorithmisch, zahlenbasiert, quellcodegestützt, artifiziell intelligent, kryptografisch zertifiziert, blockchaingeneriert. […]
Zu den schönsten Ergebnissen der Sammlungsübersicht gehört das gleichsam Schritt um Schritt unaufhaltsam wachsende Bewusstsein für die Geschichtlichkeit des Medienmediums. Man ist ja an den Selbstverschleiß der Künste tunlichst gewöhnt. Eine Schlagzeile löst die andere ab. Und was heute angesagt ist, ist spätestens in der übernächsten Saison schon wieder démodée. Aber bei den Werken mit Kabelanschluss verläuft der Historizitätsprozess doch noch eine Runde schneller. Vermutlich erschließt sich die Ausstellung für ein Publikum mit abgeschlossenem Informatikstudium als wahre Fundgrube. Denn was in den Vitrinen an aufgeschraubten Altcomputern und zerlegten Rekordern geboten wird, das muss jemanden vom Fach geradezu elektrisieren – auch ohne Stromanschluss.
Nichts altert ja so schnell wie die Gebrauchselektronik, ohne die wir nicht mehr leben wollen. Schon für das Modell vom vorletzten Jahr gibt es keine Ersatzteile mehr. Reparieren tut niemand mehr, allenfalls rezyklieren. Eine dreißig Jahre alte Videoinstallation hat den Status eines archäologischen Grabungsfundes. Entsprechend aufwendig ist ihre konservatorische Betreuung.
Und wenn es um Wiederbelebung alter Programme, um die Sicherung kaum mehr lesbarer Bild- und Tonspuren geht, liegen die Dinge mindestens so komplex wie bei der Restaurierung der antiken Bronzen von Riace oder bei der Sanierung von Rembrandts „Nachtwache“. Das wissenschaftliche Team des ZKM verdient allen Respekt für das Geduldsspiel, das ihm bei jeder Aufgabe die Erfindung neuer Spielregeln abverlangt.
Hans-Joachim Müller, welt.de, 07.04.2025 (online)