Zeitenwende signalisiert nicht, dass es jetzt plötzlich wieder Krieg gibt, denn es gab immer Krieg. Wir hatten den Jugoslawienkrieg in Europa, den Irakkrieg, den Afghanistankrieg und waren militärisch brutal in Libyen aktiv. Die Zeitenwende bedeutet eine neue Haltung. Zuvor gab es das Bewusstsein und das Selbstverständnis, dass es leider noch Krieg gibt und dass wir diesen überwinden wollen. Die Zeitenwende sagt, das sei eine Illusion gewesen und das Einzige, worauf wir uns verlassen können, sei der Hammer. […]
Ich hatte neulich eine Diskussion mit Carlo Masala. Er meinte, Kriegstüchtigkeit sei das Gleiche wie Verteidigungsfähigkeit. Aber ich widerspreche: Nein, das ist es nicht. Kriegstüchtigkeit bedeutet, dass man sich darauf vorbereitet, Krieg zu führen, also zu töten und getötet zu werden. Dafür muss die Hemmung überwunden werden, die Menschen normalerweise gegenüber der Idee haben, andere umzubringen. Soldaten werden gezielt so trainiert, dass es ihnen im Zweifelsfall leichtfällt, Menschen zu töten. Kriegstüchtigkeit heißt, dass sich unsere Gesellschaft darüber Gedanken macht, wie wir bessere Instrumente entwickeln, um andere Menschen umzubringen. Zeitenwende bedeutet also, dass wir besser in der materiellen und kulturellen Tötungstechnologie werden und bereit sein müssen, sie anzuwenden – das ist eine Katastrophe.
Hartmut Rosa, berliner-zeitung.de, 13.07.2025 (online)