Das WDR Programm kommt aus den Negativ-Schlagzeilen nicht heraus, öffentlicher Protest gegen die mögliche Abschaffung von Stichtag und Zeitzeichen, die geplante Änderung bei der Literaturkritik auf WDR3 und jede Menge Empörung wegen der Fernsehsendung „Die letzte Instanz“. Ein Grund für die Protestwellen sieht Prof. Sabine Rollberg in der Programmphilosophie, man müsse „die Menschen abholen“ oder ihre „Bedürfnisse befriedigen“. Das könne man gar nicht, denn die Zielgruppe „Mitte der Gesellschaft“ gebe es nicht mehr, die Gesellschaft sei diverser aufgestellt, als vor 20 Jahren. Verschärfend käme hinzu, dass der WDR sehr hierarchisch aufgestellt sei und abweichende Meinungen der Belegschaft nicht hören wolle. …. Man will im WDR nicht mehr diese intellektuelle Vorhut sein. Man sucht den Mainstream. Diese Maßgabe „wir holen Leute ab“ bedeutet in der Folge „wir bringen Leute nicht mehr irgendwohin“. Wenn man so denkt, verharrt man im Status quo und zementiert einen gewissen Bodensatz an Stammtischmeinungen. …. Das heißt, früher waren Diskussionen über Dramaturgie, über Substanz von Sendungen, über inhaltliche Punkte in einer Redaktionskonferenz gang und gäbe. Meine letzten 10 Jahre im WDR waren nur von Zahlen bestimmt, d.h. es war eine rein quantitative Diskussion. Programm war gut, wenn es eine gute Quote hatte und Programm war schlecht, wenn die Quote niedrig war. Kolleg*innen, die weiterhin den Inhalt zur Richtschnur machen wollten, wurde vorgeworfen, dass sie rückwärtsgewandt seien und nur Programm „für ihre akademischen Freunde“ machen würden. Damit fing auch eine Verachtung von Bildung und Intellekt an. …. Und dann kommt noch dazu, dass man die Fachredakteur*innen nicht mehr wollte, sondern Generalist*innen. Ein*e Fachredakteur*in kann sich viel mehr gegen hierarchische Eingriffe oder Bevormundung wehren, und das ist wichtig für gutes Programm.
Sabine Rollberg, wdr.verdi.de/, 11.02.2021 (online)