Ist unsere Gesellschaft tatsächlich so gespalten, wie oft behauptet wird? Der Soziologe Nils C. Kumkar erforscht, warum die Rede von der „Polarisierung“ so erfolgreich ist. […]
Weshalb ist der Begriff der Polarisierung offenbar so ergiebig, um alle möglichen Konfliktlagen zu deuten? Kumkar versteht die Dramaturgie der Polarisierung als „kommunikatives Ordnungsmuster“. Dessen Pole bilden aus Sicht des Soziologen eine Art Magnetfeld, das, einmal aktiviert, die gesamte Debatte strukturiert. Selbst wenn sich ein Großteil der Äußerungen in der „Mitte“ verortet (wo immer das ist) und dezidiert von den Extremen absetzt, bewegen sich alle Wortmeldungen in diesem Magnetfeld. Noch die Abgrenzung von der Polarisierung verweist auf die Ausstrahlungskraft der Pole – und stärkt sie damit.
Die Pointe an Kumkars origineller Analyse ist, dass er die Funktionsweise unterschiedlicher Kommunikationsräume (Social Media, Politik, Massenmedien) als Treiber der Polarisierungsdramaturgie beschreibt. Dadurch bekommt er in den Blick, dass die polarisierte öffentliche Auseinandersetzung nicht zwangsläufig ein Ausdruck gesellschaftlicher Großkrisen und feindseliger Einstellungen sein muss.
Peter Laudenbach, sueddeutsche.de, 21.08.2025 (online)

