Ich sehe keinen Grund zu unterstellen, dass die westdeutsche Politik den Medien ins Notizbuch diktiert, was sie um 20 Uhr sehen will. Das war DDR, das ist Vergangenheit. Eher glaube ich, dass die Chefs es nicht besser wissen und auch nicht wissen wollen, denn sie haben kein Interesse, ihre Welt noch einmal umzubauen. Die mit den vielen Dienstjahren, weshalb sie ja Chefs sind, bleiben lieber bei ihrem Weltbild, dass sie bereits vor 35 Jahren besaßen oder vor 25 Jahren auf der Uni vermittelt bekamen oder von dem sie annehmen, dass man es so von ihnen erwartet. Vielleicht steckt dahinter am Ende Angst?
Als Literaturkritiker halte ich mich gern an Jenny Erpenbeck fest, die in ihrem mit dem Booker-Prize ausgezeichneten Roman Kairos bis zur Frage vorstößt, ob „der Aufbruch, der kurz zuvor noch im Widerspruch zur bestehenden Ordnung des Ostens gestanden hat, nun bald in Widerspruch zur Ordnung des Westens stehen (werde), die da kommen wird“? Diese Frage werden sich die „Chefs“ nicht stellen, aber vielleicht ahnen sie, dass es im Osten durchaus ein kritisches Potential gibt. Immerhin haben die Ostdeutschen mit einer Revolution, einer friedlichen zwar, aber immerhin einen Staat gestürzt.
Michael Hametner, freitag.de, 28.01.2025 (online)