Gegenseitige Vorwürfe verschworener Gemeinschaften beidseits wachsender sozialer und medialer Spaltungen: Wie möglicherweise anstehende Sozialproteste im Vorhinein geframed werden. …
Woher der soziale Resonanzboden für Unzufriedenheit und Proteste kommen mag, welche politischen und polit-ökonomischen Alternativen zum aktuellen Regierungskurs es gibt oder gäbe (gerade auch progressive), wie Protest sich anders als „rechtsextrem“ artikulieren könnte – dazu äußerst wenig bis nichts in diesem langen Text. […]
Dass auf beiden Seiten dieser sozialen und medialen Spaltungen, die sich gegenseitig und jeweils exklusiv „Verschwörung“ zurufen und vorwerfen, kaum über soziale Verhältnisse, gesellschaftliche Strukturen oder Interessenkonflikte debattiert wird, scheint kein Zufall.
Entwicklungen werden, so oder so, übermäßig personalisiert und emotionalisiert, um über etwaige grundlegende Änderungen, zum Beispiel Vergesellschaftungen wichtiger Produktionsmittel oder auch wichtiger Medien, nicht reden und schon gar nicht entsprechend handeln zu müssen.
Um hinsichtlich entsprechend gesellschaftlicher (Re-)Produktion und gesellschaftlicher Kommunikation kurz mit zwei Vorschlägen von Bertolt Brecht mit Bezug auf das seinerzeit, hier um 1930, modernste Medium, das Radio, zu enden:
- Brechts Ansicht nach sollte aus dem Radio „eine wirklich demokratische Sache“ gemacht werden, zum Beispiel, indem
- nicht nur Waren oder Botschaften verteilt würden, sondern auf ganz neue Weise wechselseitig und auf Augenhöhe produziert und kommuniziert würde – öffentlichen Angelegenheiten sollte wirklich „der Charakter der Öffentlichkeit“ verliehen werden. Öffentlichkeit gleichsam als Produktivkraft.
Dann, denke ich heute, gäbe es – gesellschaftlich wie individuell – womöglich auch weniger Bedarf an UND geringere Wirksamkeit von „Verschwörungstheorien“.
Sebastian Köhler, Telepolis, 3.8.2022 (online)