Schon mehrere Monate streite ich zusammen mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen meiner Partei, der Grünen, der PDS und der FDP im Landtag sowie mit jungen Basisinitiativen in Dresden, Leipzig und Chemnitz für die Erhaltung des Jugendradios DT 64. Die Herrschenden, insbesondere aus der sächsischen CDU, wollen es zum neuen Jahr einschlafen lassen. Der Sender ist für sie ein Überbleibsel aus der DDR, was aber schon längst nicht mehr stimmt, im Gegenteil: DT 64 ist bei der Jugend beliebt, weil man dort die entsprechende Musik spielt und auf unabhängige, lebhafte Art über die Chancen wie über die Schwächen der neuen Gesellschaft berichtet. Die Journalisten des Senders scheuen sich nicht, den neuen Machthabern auch unangenehme Fragen zu stellen. Vor allem bedeutet der Sender eine Stimme der Jugend aus dem östlichen Deutschland. Das geht auch aus einem Brief zweier junger Leute aus Dresden hervor, in dem sie mich ersuchen: »Wir fordern Sie auf, sich für den Erhalt des Senders in Sachsen einzusetzen. Vergangenheit kann man nicht einfach abschalten, wer es trotzdem tut, verleugnet die Geschichte. Wir sind 29 und 25 Jahre alt, also mit diesem Sender aufgewachsen.« In Abstimmung mit meiner Fraktion und mit den Medienbeauftragten der SPD in den Landtagen der neuen Bundesländer habe ich am 8. November Björn Engholm um Hilfe im Kampf um das gefährdete Jugendradio gebeten. Ich bin überrascht und beeindruckt, dass und wie der Bundesvorsitzende der SPD (den ich im Juli 1990 in Horka in der Nähe von Kamenz bei einem Besuch der Sorben mit begrüßt hatte) auf den Brief geantwortet hat. Er äußert, was mir und vielen anderen am Herzen liegt: »Ich bin mit dir der Meinung, dass der Jugendsender DT 64, wenn irgend möglich, erhalten werden sollte. Ich stimme der Argumentation ausdrücklich zu, dass die Einstellung des Programms nicht etwa ein Neuanfang, sondern ein erneuter Schlag gegen das Selbstwertgefühl zahlreicher Menschen in den neuen Bundesländern wäre, da ihnen ein weiterer Teil ihrer Identität und ihres früheren Alltags genommen wird. Ich werde daher versuchen, zu einer Lösung in diesem Sinne beizutragen, und zwar zunächst durch interne Gespräche mit den Verantwortlichen, vor allem bei denjenigen unserer eigenen Partei. Ich bitte dich um Verständnis dafür, dass dieses Vorgehen nicht mit Schritten in die Öffentlichkeit verbunden ist.
Benedikt Dyrlich, Tagebuch, 30.11.1991 (zum Buch)