Er war der Autor von „Stahlnetz“, der Schöpfer von „Ekel Alfred“ und ein freier Geist: Eine Biografie erzählt vom unglaublichen Leben des Journalisten Wolfgang Menge – mit einer wichtigen Botschaft.
Es gibt in Deutschland zwei Wege, zu einem die Republik prägenden Intellektuellen zu werden: Bedeutende Bücher zu schreiben ist der eine, der andere führt über die Universität. Manche schaffen beides. Wolfgang Menge, der am 10. April seinen hundertsten Geburtstag feiern würde, nahm keinen dieser beiden Wege, sondern schuf sich einen dritten. Als Autor für das Fernsehen veränderte er die junge Bundesrepublik.
Wolfgang Menge schrieb „True Crime“-Filme wie Stahlnetz, eine Medienkritik wie Das Millionenspiel und Serien wie Ein Herz und eine Seele oder Motzki. Man kann sie als eine Form der Zeitkritik und der angewandten Anthropologie betrachten: In diesen Werken sind die Figuren nicht so, wie Menschen sein sollten, sondern so, wie man sie antrifft: Eine Mischung aus anständig und fies, gierig und gütig. In seinem Werk sind manche Gestalten nicht die Opfer schlimmer Umstände oder polytraumatisierte Zeitgenossen, die es zu optimieren und zu therapieren gilt, sondern Nervensägen.
Heute würden Figuren wie das Ekel Alfred oder der dauermeckernde Motzki zu Programmbeschwerden und Shitstorms führen. Man bräuchte Warnhinweise vor der Ausstrahlung und Zuschauertelefone zur Milderung der durch die Sendung erlittenen Traumata. […]
Dem Publikum der Nachkriegsjahrzehnte, das war Menges geniale Einsicht, sollte und konnte man schon etwas zumuten. Beispielsweise die Wahrheit. […]
Es war die Zeit, als noch keine Quote gemessen wurde und keine Werbezeiten verkauft werden mussten. Die großen Vermögen wurden damals woanders gemacht: in der Industrie natürlich und durch Zeitungen und Zeitschriften.
Nils Minkmar, sueddeutsche.de, 09.04.2024 (online)