In seiner Darstellung der Gesellschaft richtet sich der Blick eines Ermittlers im Krimi und mit ihm der des Zuschauers auf verborgene Abgründe. Das wirkt auf die Gesellschaft zurück: Wenn im Fernsehen alle Welt dunkler Absichten verdächtig ist und Gewalt an der Tagesordnung zu sein scheint, werden am Ende die Fremden als besondere Bedrohung wahrgenommen
Nach einer Rechnung des Journalisten Glenn Riedmeier ereigneten sich im Jahr 2015 allein im Programm von ZDF und ZDFneo mehr als viereinhalbtausend Morde, während die langweilige Wirklichkeit nicht mal ein Zehntel davon aufweisen konnte: Weniger als dreihundert tatsächliche Mordfälle gab es in ganz Deutschland. Aber auf Realität kommt es auch gar nicht an. Mordermittlungen sind hier nur eine Erzählkonvention, etwa so wie die Existenz böser Feen im Märchen. …
Sollten wir also Kracauers Studie „Von Caligari zu Hitler“ einen zweiten Teil anfügen mit dem Titel „Vom Tatort zur AfD?“ Vieles spricht dafür. Die Fernsehanstalten könnten den Einfluss, den sie auf das Bewusstsein der Menschen haben, für etwas Besseres nutzen. Für mehr Aufklärung, die auf Englisch „enlightenment“ heißt. Das hat mit Licht zu tun und auch mit Leichtigkeit, nicht mit ewigem Kult um die Düsternis.
Frank Zeller: Der tägliche Tod, Süddeutsche Zeitung, 05.01.2019 (online)