Streamingdienste machen ein Geheimnis aus ihren Zuschauerzahlen. Warum das zum Problem werden kann, zeigt die Abschaffung mehrerer Serien vor 50 Jahren in den USA. … Streamingdienste analysieren ihre Abonnenten – behalten die Ergebnisse aber für sich. Wenn sie tatsächlich immer größere Teile des Marktes beherrschen, wäre ein bisschen mehr Transparenz mehr als wünschenswert. Ihre Entscheidungen können nämlich ziemlich weitreichenden Schaden anrichten. …
Der „Rural Purge“ in den USA, wo es immer schon nur ganz wenig öffentlichen Rundfunk gab, ist dafür ein gutes Beispiel, und möglicherweise wird er als medialer Meilenstein unterschätzt – denn damals wurde jener Teil der Gesellschaft, der sich als abgehängt von den Eliten an den Küsten betrachtet, tatsächlich abgehängt. Die sogenannte Säuberung fand vor ziemlich genau fünfzig Jahren, im Herbst 1971, statt. CBS fing damit an, die anderen Sender zogen nach. Es wurden nach und nach allerhand Sendungen aus dem Programm genommen, Lassie beispielsweise, Die Leute von der Shiloh Ranch, und Lieber Onkel Bill. Nicht, weil die Quoten zu niedrig gewesen wären – es schauten die falschen Leute zu. Es war auch Sendezeit verloren gegangen, weil die zuständige Behörde Fenster für Lokalnachrichten verlangte. Vor allem aber galt für die Fans dieser Serien: Sie waren zwar ein Publikum, aber nicht das Publikum, das die Marketing-Abteilungen der Sender wünschten. Zu wenig Kaufkraft. …
Im Nachhinein klingt es jedenfalls nicht so, als sei es eine gute Idee gewesen, dem Vergnügen eines Teils der amerikanischen Bevölkerung den Garaus zu machen, weder aus finanziellen noch aus ideellen Erwägungen.
Nicht alles, was die Veränderungen der Gesellschaft nicht spiegelt, ist gleich verwerflich: Jede romantische Komödie blendet die Wirklichkeit aus. Was auf den einen Zuschauer wirkt, als wäre es von gestern, ist für einen anderen vielleicht wie Ferien von einer sich rasant wandelnden Welt.
Susan Vahabzadeh, sueddeutsche.de, 8.12..2021 (online)