Streit um MDR-Ressourcen

Am Donnerstag verwies Martin Debes in der Thüringer Allgemeinen (16.07.2015) darauf, dass „von den gut 2000 festen Mitarbeitern“ des MDR „gerade einmal 118 in Thüringen beschäftigt. Das sind sechs Prozent des Gesamtpersonals.“ Daneben würden 104 fest-freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezahlt. Er unterschlägt im Weiteren auch nicht die 60 Stellen beim Kinderkanal sowie die 13 Stellen der MDR-Werbung GmbH, die auch in Erfurt sitzt.

Allerdings macht er eine Schräglage deutlich. Sachsen habe in Leipzig die Zentrale mit 1.400 Beschäftigten sowie 660 fest-freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Daneben gibt es noch ein Landesfunkhaus (140 Angestellte). Auch Sachsen-Anhalt habe zwei Standorte. Im Magdeburger Landesfunkhaus seien 125 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fest angestellt, in der Hörfunkzentrale in Halle gebe es neben 265 Angestellten noch einmal rund 400 feste freie Mitarbeiter.

 

„Ein zweistelliger Millionenbetrag unser aller Gebührengelder soll dafür ausgegeben werden, um die Sendekapazitäten in Leipzig und Halle trimedial aufzuhübschen. Erfurt bleibt mal wieder außen vor“, stellt Martin Debes in einem Kommentar fest und zieht folgendes Fazit: „Das Angebot hingegen, in Thüringen eine kleine Schlagerwelle zu etablieren, ist ein schlechter Witz. Ein bisschen nachrichtliche Zulieferung, Garten- oder Wandersendungen und ansonsten Folklore: Für mehr ist Erfurt aus Leipziger Sicht nicht zu gebrauchen. Wer sich das gefallen lässt, hat es nicht anders verdient.“

 

Nun, damit greift er etwas zu kurz. Schließlich hat das Land in den letzten Jahren so einiges gewonnen. Tatorte, um die die Politik gekämpft hat. Eine Serie wie „Die jungen Ärzte“, mit der das Erfurter Kindermedienzentrum vor der Insolvenz gerettet wurde. Sicher, diese Produktionen müssen nicht von Dauer sein. Schließlich wurde ja auch der Erfurter Tatort nach zwei Ausgaben wieder eingestellt. Doch grundsätzliche, strukturelle Veränderungen sind vor allem dann möglich, wenn die Politik den MDR-Staatsvertrag anpasst. In diesem ist festgeschrieben, wie die Standorte verteilt werden. So heißt es im Paragraf 2:

 

„Der MDR unterhält Landesfunkhäuser in Dresden, Magdeburg und Erfurt. Regionalstudios sind den Landesfunkhäusern in den Ländern zuzuordnen, in denen sie betrieben werden.

Die gemeinsamen und überregionalen Aufgaben des MDR (Zentralbereich) werden vom Sitz der Anstalt in Leipzig aus erledigt. Ein möglichst in sich geschlossener Direktionsbereich nebst den dazu gehörenden Produktionskapazitäten wird in Halle angesiedelt mit dem Ziel, dort etwa ein Viertel des Zentralbereichs zu konzentrieren.

Die von der Anstalt zu gründende Werbegesellschaft hat ihren Sitz in Erfurt.“

 

Dies wurde vor fast genau 24 Jahren von drei CDU-Ministerpräsidenten so verhandelt. Drei Landtage, in denen die CDU dominierte, haben das so beschlossen. Darin hat die heutige Verteilung der Ressourcen ihre Grundlage. Wer die grundsätzlich ändern will, muss diese gesetzlichen Grundlagen ändern. Doch ob es dafür politische Spielräume gibt, ist fraglich. Schließlich konnten sich die Staatskanzleien der drei Länder bisher noch nicht einmal auf eine Zusammensetzung der MDR-Gremien einigen, die den Vorgaben des ZDF-Urteils entspricht.

 

Allerdings hatte der MDR-Staatsvertrag auch einen weiteren Gestaltungsraum eröffnet. „Im Rahmen der Entwicklung des MDR sind die Länder bei der Wahl der Standorte für weitere Einrichtungen oder Gesellschaften des MDR angemessen zu berücksichtigen.“ Erfurt hat 1996 durch das Engagement des früheren Intendanten Prof. Udo Reiter den Zuschlag für den Kinderkanal bekommen. Dieser hat mit einem Etat von 35 Mio. Euro mehr zur Verfügung, als ein Landesfunkhaus. Allerdings ist er eine Einrichtung von ARD und ZDF und kann so nicht alle Mittel nur in Thüringen ausgeben. Zudem nutzte die Medienpolitik des Landes die Chancen mit dem Kika zu wenig. Sicher, ein Kindermedienzentrum wurde geschaffen. Doch während andere Länder entsprechend hohe Mittel einsetzten, um sich als Medienstandort zu profilieren, hat Thüringer Landesregierung unter CDU-Führung sich zwar hochtrabend zum Kindermedienland definiert, hier aber immer finanziell fördernd nur kleine Brötchen gebacken. (Es kam auch niemand auf die Idee, die von einem Kika.-Mitarbeiter in der Erfurter Spielbank, die an das Land entsprechend Steuern abführt, veruntreuten Kika-Millionen in die Filmwirtschaft zurückzuspeisen.)

 

In der Thüringer Medienpolitik sei, so berichtete 2011 die Thüringer Allgemeine, „in den vergangenen Jahren vieles begonnen und auf halbem Wege wieder abgebrochen worden. So plante etwa Medienminister Michael Krapp einst eine Landesagentur, die Produzenten ins Land locken sollte – mit einer prominenten Person an der Spitze. Es ist nie etwas daraus geworden.“ Es folgte ein Machtkampf, wer in der Medienpolitik zuständig sei. „Staatskanzleiministerin Marion Walsmann setzte sich zwar in dieser Frage gegen den glücklos agierenden Staatssekretär Peter Zimmermann durch. Doch dabei blieb es zunächst.“ Als Thüringens Medienministerin hatte Marion Walsmann für Dezember 2011 „ein Expertengespräch geplant, bei dem – zwölf Jahre nach Gründung des Kika – einmal mehr die Frage erörtert werden soll, welche Anforderungen heute an einen Produktionsstandort gestellt werden.“ Eine „offensive Kindermedienpolitik“ sehe anders aus. Marion Walsmann lehnte es damals ab, sich im mitteldeutschen Raum als Standort gegenseitig Konkurrenz zu machen. Sie wollte an der Zuordnung Halles als Animationsstandort, Leipzigs als Zentrum fiktionaler Produktionen und Dresdens im Dokumentarischen „nicht rütteln“. „Wir sollten uns im mitteldeutschen Raum nicht gegenseitig Konkurrenz machen“, ließ sie sich damals als Medienministerin Marion Walsmann zitieren.

 

Bei der Vergabe weiterer Einrichtungen und Gesellschaften, so im Rahmen des Outsourcings Ende der 90er Jahre, wurde Thüringen kaum berücksichtigt. Einerseits war man wohl mit dem Geschenk des Kinderkanals erst einmal zufrieden, andererseits agierte die Medienpolitik eher schwach. Man ließ sich lieber mit der Kika-Führung sehen oder strebte Rollen als Nebendarsteller in Kinderserien an, anstatt standortorientierte Medienpolitik zu machen.

 

„Es klingt wie Hohn, dass auch das neue digitale Kinderradio in Halle produziert wird“, so Martin Debes. „Das Argument der MDR-Führung, dass von dort ja schon der Jugendsender Sputnik sende, mit dessen Synergien das neue Angebot entwickelt werde, wirkt geradezu grotesk.

Ist es nicht so, dass aus Erfurt ein gewisser Kinderkanal von ARD und ZDF sendet? Gibt es da etwa keine Synergien? Und wenn man schon mal dabei ist: Wie wäre es, Jugend- und Kindermedien in Thüringen zu konzentrieren, inklusive Sputnik?“

 

Das klingt erst einmal schlüssig. Doch eine Kinderradio-Kooperation des MDR mit dem Kika werden nicht alle Kika-Eigner gut finden. Schließlich versucht der WDR sein Kinderradio Kiraka möglichst breit zu etablieren. Warum sollte er seine Konkurrenz stärken?

 

Es gibt viele Gründe, Thüringen zu stärken. Doch es gibt auch noch weitere Akteure in dem Spiel. Die MDR-Geschäftsführung ist da nicht völlig frei, die Spielräume sind gering. Zum einen sind es die gesetzlichen Vorgaben (siehe oben), zum anderen die Medienpolitiker und Rundfunkratsmitglieder der anderen Länder. So forderte zuletzt der Landtag von Sachsen-Anhalt mehrheitlich, dass es „keine Veränderung der Arbeitsplatzanzahl zulasten des Standortes Halle“ geben darf. Doch genau das schlägt Martin Debes vor. Sicher, man kann viele Ideen haben, wie Thüringen sich medienpolitisch profilieren kann und welchen Beitrag der MDR dazu leisten soll. Doch die konkreten Spielräume für die Umverteilung von Bestehendem sind unter den jetzigen Rahmenbedingungen gering. Es ist unwahrscheinlich, dass Sachsen und Sachsen-Anhalt entsprechende staatsvertragliche Änderungen mit tragen werden. Daraus folgt: Wer sich größere Anteile für die Zukunft sichern will, muss auf Zukünftiges setzen, dass seine Grundlage nicht im Bestehenden hat.

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Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
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Auf seinem YouTube-Kanal „Ryan ToysReview“ testet der kleine Amerikaner Ryan seit März 2015 allerhand Spielzeug. Die Beschreibung des erfolgreichen Channels ist simpel: „Rezensionen für Kinderspiele von einem Kind! Folge Ryan dabei, wie er Spielzeug und Kinderspielzeug testet.“ Ryan hat 17 Millionen Abonnenten und verdient 22 Millionen Dollar im Jahr. Berliner Zeitung, 04.12.2018 (online)